Veranstaltung: | Landesdelegiertenversammlung Neuwied, 23. November 2019 |
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Tagesordnungspunkt: | 9. Anträge |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Abstimmungsergebnis: | Einstimmig beschlossen. |
Beschluss durch: | LDV in Neuwied |
Beschlossen am: | 23.11.2019 |
Eingereicht: | 25.11.2019, 17:32 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Schulen bauen für das 21. Jahrhundert – Nachhaltig, inklusiv, pädagogisch wertvoll
Beschlusstext
Schulgebäude sollen ansprechend sein, neugierig machen und die Lust die Welt zu
entdecken fördern. Wir wünschen uns Orte der sprudelnden Kreativität und neuer
Ideen, lebendig, zum Verweilen einladend und mit offenen Räumen für Begegnung
und Austausch, auch über den schulischen Tellerrand hinaus – für alle Kinder und
schulischen Akteur*innen gemeinsam. Wir wollen positive Wechselwirkungen von
Architektur, Organisation und Pädagogik.
Gute Arbeitsbedingungen für Lehrende und Lernende zu schaffen beginnt mit der
architektonische Gestaltung von Schulgebäuden und der Ausgestaltung von
Klassenräumen. Wir GRÜNE wollen die Schulbaurichtlinie deshalb um
Gestaltungskriterien erweitern, die modernen pädagogischen Ansätzen gerecht
werden und den Schulträgern ermöglichen, Raum für individuelle Förderung
barrierefrei bereitzustellen.
Wir wollen gemeinsam mit den Schulträgern erreichen, dass Schulbauten besser auf
pädagogische Anforderungen wie einen Ganztagsunterricht,
Differenzierungsmöglichkeiten und Projektunterricht abgestimmt werden. Die
Ausgestaltung der konkreten Anforderungen an einen pädagogisch, ökologisch und
gesundheitsförderlichen Schulbau sollen künftig jedoch nicht nur von
Schulträgern und Schulleitungen diskutiert werden, sondern bei allen
Planungsschritten vor allem unter Einbeziehung der späteren Nutzer*innen, dem
Schulpersonal und den Schüler*innen und deren Eltern .
Der Raum ist neben den Mitschüler*innen und den Lehrer*innen der „dritte
Pädagoge“. Er sollte daher nicht nur eine Hülle sein, die vor
Witterungseinflüssen schützt, sondern neugierig machen, die Welt entdecken zu
wollen. Es geht darum, eine neue Typologie für Lernräume und zukünftige
Schulbauten zu entwickeln, die zeitgemäße Anforderungen wie Ganztag, Inklusion
oder Digitalisierung im gebauten Raum abbilden.(siehe Begründung)
Anstelle eines Lernens im Gleichschritt werden für die individuelle Förderung
von Schüler*innen mehr Flächen zur Differenzierung benötigt. Der in der
Schulbaurichtlinie vorgegebene und förderfähige Flächenbedarf je Schüler sollte
daher nicht unter 4,5 Quadratmeter betragen.
Anstelle der alten „Klassenraum-Flur-Schule“ bedarf es für die individuelle
Förderung von Schülerinnen und Schüler neuer Raumkonzepte in der Schule. Neben
speziellen Fachräumen z.B. für Naturwissenschaften, Schulküchen, Werkstätten,
Musik, Kunst oder für Sport sind Räume für die Schulgemeinschaft wie Bibliothek,
Cafeteria, Mensa, Foyer, aber auch für die Mitarbeitenden Team- und
Personalräume, Räume für die Sozialarbeit, die Hausmeister*innen und
Schülermitverantwortung oder Therapieräume notwendig. Darüber hinaus bedarf es
allgemeiner Lern- und Unterrichtsbereiche. Die Schulen sollen hell und
transparent gestaltet werden. Sie sind daraufhin zu überprüfen, dass sie durch
die räumliche Gestaltung zur Gewaltprävention beitragen.
Für die Umsetzung der Inklusion ist eine Anpassung der Schulbaurichtlinien von
zentraler Bedeutung. Über die Barrierefreiheit hinaus sind künftig auch
besondere räumliche Bedarfe des inklusiven Unterrichts zu berücksichtigen. Dazu
gehören beispielsweise angemessene Räumlichkeiten für die Aufteilung in kleine
Lerngruppen und für die Versorgung pflegebedürftiger Schülerinnen und Schüler.
Eine Bildung in der digitalen Welt kann nur gelingen, wenn infrastruturell alle
Schulen neben einer leistungsstarken LAN-Verkabelung aller Räume, auch über ein
ein- und ausschaltbares WLAN in allen Lernräumen (auch zur pädagogischen
Arbeitsmitteleingrenzung) verfügen. Auch Beschattungsmöglichkeiten (z. B. für
interaktive Whiteboards) sind vorzusehen.
In einer gesunden Schule, in der Schülerinnen und Schüler, wie auch das gesamte
pädagogische Personal den ganzen Tag verbringen, bedarf es auch genügend Flächen
sowohl im Innenbereich (Aufenthaltsräume, Team und Rückzugsräume für
Lehrer*innen, Arbeitsräumen für Lehrer*innen nicht unter 4m² pro
Lehrerarbeitsplatz für wenigstens ein Drittel des Kollegiums etc) und im
Außenbereich für Bewegung. Anstelle von Catering mit langen Anfahrtswegen
sollten Frischküchen mit Angeboten aus ökologischem und regionalem Landbau für
eine gute Ernährung selbstverständlich sein. Dazu können Kooperationen mit
regionalen Bio-Bauernhöfen angedacht werden. Dies führt zu einer regionalen
Erzeignissgewinnung, schont damit die Umwelt und stärkt das Bewusstsein der
Schüler*innen für regionale Lebensmittel. Zunehmend wollen wir gemeinsam mit den
Schulträgern ermöglichen, dass in Schulküchen täglich frisch gekocht werden
kann. Große Speisesäle (Mensen) sind – wo immer möglich – zu vermeiden und
pädagogische Ansätze zu unterstützen, in denen Lehrer*innen vorzugsweise in
Kleingruppen mit Schüler*innen gemeinsam essen (Speisekultur).
Gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und
Schüler zu schaffen, heißt aber auch darauf zu achten, dass die Gebäude frei von
schadstoffbelasteten Baustoffen sind, die die Gesundheit beeinträchtigen können.
Viele, vor allem in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
errichtete Gebäude, sind mit Schadstoffen belastet (Asbest, PCB, PCP,
Holzschutzmittel, etc.). Daher müssen die bestehenden Gebäude auf
Risikobaustoffe untersucht werden und eine Sanierung erfolgen, sollte eine
Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden können. Aber auch neue
Schulgebäude sind nicht frei von Gesundheitsrisiken (z. B. Lösungsmittel mit
gesundheitsgefährdenden Inhaltsstoffen, Schimmelpilzbefall).
Zur Sicherstellung einer optimalen Raumluftqualität muss ein Lüftungskonzept
erstellt werden, welches den erforderlichen Luftaustausch mittels
Fensterlüftung, mechanischer oder Hybridlüftung nachweist. Um Gesundheit und
Konzentrationsfähigkeit zu erhalten, ist neben den flüchtigen organischen
Substanzen und Formaldehyd auch dem Kohlendioxidgehalt der Raumluft besondere
Aufmerksamkeit zu schenken. Insbesondere bei Sanierungsmaßnahmen kommt der
Gewährleistung des notwendigen Luftaustausches eine große Bedeutung zu. Eine
mechanische Lüftungsanlage sorgt dafür, dass aus den im Bestand verbauten
Baustoffen ausgasende mögliche Schadstoffe „abgelüftet“ werden und sich nicht in
der Raumluft anreichern können.
Die akustische Qualität von Räumen hat großen Einfluss auf das Verstehen von
Sprache, auf die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit und nicht zuletzt auf
die Gesundheit. Die Anforderungen an die Raumakustik sind frühzeitig in der
Planung zu beachten.
Bei Neubauplanungen sind Räume nach Möglichkeit so zu orientieren und
Fensterflächen so zu dimensionieren, dass eine sommerliche Überhitzung
ausgeschlossen werden kann. Es ist auf den Einsatz eines wirkungsvollen
Sonnenschutzes, Optimierung der Baukonstruktion zur passiven Kühlung und
Möglichkeiten zur Nachtlüftung zu achten.
Sowohl bei Sanierungen als auch bei Neubaumaßnahmen ist der thermische Komfort
sicherzustellen, d.h. Temperaturunterschreitungen im Winter, wie auch
Temperaturüberschreitungen im Sommer sind auszuschließen.
Für jede Klasse sollte im eigenen Lernbereich eine eigene Toilette zur Verfügung
stehen.
Bei der Auswahl der Materialien und Baustoffe ist neben der Funktionalität
besonders auf die ökologische und die ökonomische Qualität zu achten:
Materialien und Baustoffe sollen wertbeständig, langlebig, wenig
ressourcenintensiv in Herstellung und Entsorgung und schadstofffrei sein.
Neubauten von Schulgebäuden sowie Sanierungen von bestehenden Schulbauten sollen
nachhaltig geplant und gebaut werden. Dazu ist das Bewertungssystem Nachhaltiges
Bauen BNB für Schulbauten sämtlicher Träger verpflichtend einzuführen. Sowohl
für Neubauten als auch Sanierungen ist eine Zertifizierung nach BNB anzustreben.
Ebenso sollten alle Neubauten klimaneutral im Passivhausstandard erfolgen,
mindestens jedoch als Niedrigstenergiegebäude und mit klimaneutralem Betrieb.
Um die erforderliche Qualität für neue Schulbauten zu erreichen, ist die
Einrichtung eines niederschwelligen, barrierefreien Beratungsangebotes für die
Schulträger in Form eines zu gründenden „Kompetenzzentrums Schulbau“
erforderlich, wie es derzeit vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU)
gemeinsam mit der Montag Stiftung auf den Weg gebracht wird. Dabei bedarf es in
der Struktur des Institutes neben der Kenntnis von Bauingenieuren und
Architekten auch der professionellen Beteiligung von Pädagoginnen und Pädagogen
im Institut um die Zusammenarbeit zwischen Baufachleuten und Pädagogik zu
stärken.
Gute Schulgebäude sind besonders dort gelungen, wo die späteren Nutzerinnen und
Nutzer in die Planung miteinbezogen wurden. So sollte vor Beginn der Bauplanung
ein Vorlauf mit einer sogenannten „Phase Null“ erfolgen. Dabei sollten nicht nur
Schulleitungen, Architekten und der Schulträger mit einbezogen werden, sondern
vor allem auch die Schülerinnen und Schüler sowie das gesamte pädagogische
Personal der Schule. In dieser Phase sollen gemeinsam Anforderungen und Ziele
formuliert werden und darauf aufbauend von den Architekten ein erster Entwurf
entstehen. Hier fällt dem Land die Aufgabe zu, diese Beteiligungsmöglichkeiten
auch rechtlich abzusichern.
Damit die Schulträger die schrittweise Sanierung belasteterer Schulgebäude
finanziell stemmen können, aber auch innovativ und nachhaltig Schulgebäude neu
gestalten können, muss eine hinreichende Ausstattung im Landeshaushalt zur
Unterstützung der Schulträger vorgesehen werden. Der Etat, den wir auf 60,1 Mio
€ steigern konnten, sollte mittelfristig auf über 200 Mio € anwachsen.
Um die Vorabzusagen für den Schulbau der Kommunen im dreistelligen
Millionenbereich abzuarbeiten soll nach Ausschöpfung des Kommunalen
Investitionsprogramms ein Sonderinvestitionsprogramm auf den Weg gebracht
werden.
Begründung
Vielerorts sind unsere Schulen in einem erbärmlichen Zustand, wirken schon von Ferne oft trostlos, gleichen eher einer Fabrik, denn einem Raum, in dem man sich gerne aufhalten und lernen wollte. Sie drücken keine Wertschätzung für die Menschen aus, die darin lernen und heranwachsen sollen. Auch die Rheinland-Pfälzische Schulbaurichtlinie sieht für jede*n Schüler*in mit etwa 2m² weniger als halb so viel Fläche vor, wie für eine Henne in Freilandhaltung vorgeschrieben ist. Wenn Schulen von sich reden machen, dann leider meist als Ärgernis: mal sind die Toiletten marode, mal fehlt der Brandschutz, mal die Mensa oder undichte Fenster erzählen von mangelnder Energieeffizienz und schlechte Luft von mangelnder Konzentration und mancherorts vergiften Baustoffe unsere Lehrer und Kinder.
Dort wo mit großer Anstrengung versucht wird, den größten Missstand zu beseitigen, wird jedoch zu oft nur das Konzept der starren „Klassenraum-Flur-Schule“ übernommen und nicht an die Schule der Zukunft gedacht. Meist werden auch nur einzelne Problembaustellen beseitigt (mal das Dach, mal die Fenster, mal die Toiletten), nie aber das ganze Gebäude durchsaniert, geschweige denn eine standortbezogene Planung mit Blick auf die Zukunft betrieben. So wird viel Geld verschwendet, vor allem aber die Chance, die positiven Effekte einer „neuen“ Schule zu erleben.
Die nächsten Jahre könnten im positiven Sinne eine Zäsur beim Thema Schulbau bedeuten, wenn nicht nur große Summen in die Sanierung gesteckt würden. Vielmehr lohnt es sich, nicht nur über Investitionsrückstände zu sprechen, sondern vor allem auch über ein Defizit an Innovation!
Der Begriff der Sanierung ist haushälterisch definiert als Wiederherstellung des alten Zustands. Das ist genau nicht das, was wir als Grüne wollen. Wir wollen weg von der Flurschule des Industrie- und Massenzeitalters und hin zu einer Schule des individualisierten, digitalen und vernetzten 21. Jahrhunderts.Die Ausgestaltung der konkreten Anforderungen an einen zeitgemäßen Schulbau sollen künftig jedoch nicht nur von Schulträgern und Schulleitungen diskutiert werden, sondern vor allem unter Einbeziehung der späteren Nutzer, dem Schulpersonal und den Schüler*innen und deren Eltern
Vom Schulgebäude dürfen zu allererst keine gesundheitlichen Risiken ausgehen. Neben einer konsequenten Beseitigung und künftigen Vermeidung aller Risikobaustoffe gilt es vor allem nachhaltig zu bauen. Ob wie im Leitfaden der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Berlin 2014, klare Vorgaben für eine gesunde Raumluft geschaffen wurden oder ob es wie vom Bundesbauministerium geschehen Kriterien für Nachhaltiges Bauen von Schulgebäuden sehr detalliert erarbeitet wurden, Verbesserungen werden bei der derzeit klammen Finanzlage der meisten Kommunen im Land erst kommen, wenn die vorgenannten Kriterien rechtlich verbildlich festgeschrieben werden und entsprechend die Fördersätze zur anteiligen Baufinanzierung von derzeit 60% auf mindestens 67% angehoben werden.
Anstelle der alten „Klassenraum-Flur-Schule“ bedarf es für die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schüler neuer Raumkonzepte in der Schule. Wir unterscheiden drei Typen:
Klassenraum plus Klassenräume erhalten paarweise einen zusätzlichen, zwischengeschalteten Verfügungsraum. Die Wände sind transparent und variabel/nicht tragend, so dass eine Einsichtnahme und Umgestaltung möglich ist. Der Gruppenraum wird je nach Bedarf von beiden Klassen genutzt – einzeln oder gemeinsam. Dies ist die schüchternste Form der Weiterentwicklung der klassischen Schule mit je einem Raum pro Klasse, aufgereiht rechts und links von langen Fluren - Schulen, wie wir sie alle selbst noch besucht haben.
Cluster Ganze Jahrgangsteams mit je mehreren Klassen sind in einem gemeinsamen Abschnitt des Schulgebäudes untergebracht. Ein von allen gemeinsam genutzter Lern- und Aufenthaltsbereich ist in der Mitte angeordnet. Diese Struktur der kleinen Schulen in der großen Schule begünstigt räumlich Teamarbeitsstrukturen. Musterraumprogramme müssen die Cluster ermöglichen. Beispiel für solch eine Konzeption sind bzw. sollen in München und Berlin in Anwendung (kommen)
offene Lernlandschaften Jede Etage des Schulgebäudes umfasst ein größeres, offenes Lernatelier sowie verschiedene abgeschlossene Input- und Gruppenräume, die je nach Bedarf belegt werden können. Hier kann flexibel zwischen unterschiedlichen Lern- und Arbeitsphasen bzw. -methoden gewechselt werden. Die Landschaft verkörpert das progressivste Modell einer Lernumgebung, die der individualisierten, vernetzten Lebenswelt im digitalen Zeitalter am nächsten kommt, samt der Anforderung, sich in geräuschreichen Umgebungen konzentrieren zu können bzw. aufeinander Rücksicht zu nehmen.